STRATEGIEN Strategien
Raum für Sinn
Psychologie Die Purpose-Diskussion der letzten Jahre schien wie ein launiger Managementtrend, der vorüberzieht. Doch echte Sinnstiftung ist vielschichtiger als angenommen und eine zentrale Führungsaufgabe.
Von Wolfgang Jenewein, Maximilian Strecker, Anna-Christina Leisin
Das große Eckbüro mit Vorzimmer, eine eigene Assistenz und Sekretariat, der Dienstwagen mit Chauffeur, Flüge in der Business- oder gar der First Class – zugegeben, das klingt verlockend. Für statusorientierte Menschen sind diese Symbole der Macht noch immer eine erstklassige Motivation. Doch dann kam die Covid-19-Pandemie, und nun sitzen Führungskräfte und ihre Assistenten vorwiegend im Homeoffice. Dienstwagen und Flugzeuge stehen still. Die extrinsische Motivation fehlt. Plötzlich entsteht Raum für Reflexion. Vielleicht kommt sogar die große Frage auf: Wozu das alles?
Den Sinn in der eigenen Existenz und dem eigenen Handeln – neudeutsch Purpose – zu suchen ist ein Thema, das längst in den Vorstandsetagen der Konzerne angekommen ist. Den meisten Managerinnen und Managern leuchtet ein, dass Purpose die Motivation der Mitarbeiter erhöhen, für Marketingzwecke hilfreich und im Kampf um die besten Talente ein Vorteil sein kann.
Das Problem: Die meisten Unternehmen beschränken ihre Bemühungen darauf, eine externe Agentur mit der Entwicklung eines Purpose-Statements zu beauftragen, um anschließend in endlosen Diskussionen im Vorstandskreis das finale Wording für den Claim abzustimmen und schließlich von der Kommunikationsabteilung mit großem Brimborium verkünden zu lassen. Der Effekt ist schwach: Beseelt oder gar inspiriert von dem neuen Claim sind die wenigsten Mitarbeiter. Purpose, so der weitverbreitete Irrglaube, ist eine Ex-post-Rationalisierung dessen, was man sowieso macht. Änderungen in Lieferketten, Prozessen, in der Führungsphilosophie oder gar im Geschäftsmodell sind folglich nicht nötig.