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Batterieschaden
Elektromobilität Die deutschen Autobauer fürchten, Milliarden zu verspielen - und zögern gefährlich lange.
_____ Der Auftritt wäre ein Schmuckstück für jede Tesla-Werbung: Martin Winterkorn (66) vor den Audi-Entwicklern. Der Volkswagen-Chef sprach über das Model S, jene Elektrolimousine aus Kalifornien, deren Erfolg das Weltbild der deutschen Automobilisten erschüttert. Die Ingenieure hatten einen Tesla zerlegt, sie hatten die Stärken und Schwächen analysiert; und jetzt bilanzierte Winterkorn die Ergebnisse.
„Ein solches Auto“, sagte der Konzernchef vor der Audi-Elite, „hätte ich von Ihnen erwartet.“
Knapp 400 Kilometer Batteriereichweite, eine Beschleunigung stärker als der bayerische 560-PS-Kraftprotz BMW M5, ultramoderne Touchscreen-Bedienung. Die reichen US-Amerikaner in Kalifornien und an der Ostküste gieren nach dem Auto. Audi hat dem Tesla nichts entgegenzusetzen, BMW und Mercedes genauso wenig.
Winterkorn und Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piëch (76) gaben ein klares Signal: Audi sollte einen Herausforderer bauen, und das möglichst schnell.
Einige Monate sind vergangen seit Winterkorns denkwürdigem Auftritt. Die Audi-Entwickler holten zügig den schon gestoppten Elektrosportwagen R8 e-tron aus der Garage. Das Auto bekommt eine neue, leistungsstärkere Batterie, soll damit ebenfalls 400 Kilometer weit kommen und im Frühjahr der Öffentlichkeit gezeigt werden.
Ob der Ökosportler in den Verkauf geht, ist offen. Es wird noch gerechnet. Das Zögern steht stellvertretend für die deutsche Automobilbranche.
Alle kennen die Tesla-Erfolge. Alle wissen, dass sie die verschärften europäischen Abgasvorschriften ohne Elektrounterstützung spätestens ab 2021 nicht mehr einhalten können. Doch niemand legt richtig los. Alle warten darauf, dass die Kosten so niedrig und die Reichweiten so groß sind, dass die Modelle massentauglich werden. Alle haben Angst, zu früh zu investieren - und Milliarden Euro zu verlieren.
Audi wagt sich noch am weitesten vor, will ab Ende 2015 nach und nach die neuen Modelle des A4, des A6 und des Geländegiganten Q7 als Plug-in-Hybrid bringen. VW dagegen zögert, bereitet seine Baukästen zwar auf die Elektro-Ära vor, beschränkt sich aber zunächst auf e-up, e-Golf und einen Plug-in-Golf.
Mercedes verkauft die Strom-plus-Sprit-Variante der S-Klasse erst ab Herbst 2014. Auch mit dem neuen Elektro-Smart lässt sich Konzernchef Dieter Zetsche (60) Zeit. Bis 2016 (oder länger) müssen sich die Kunden mit dem alten Modell zufriedengeben. Die neue Smart-Generation startet dagegen schon 2014.
Selbst BMW zögert. Dabei ist die Nachfrage nach den Strommodellen i3 und i8 hoch; wer heute einen i3 bestellt, muss mitunter bis August 2014 warten. Das Elektroprogramm vervollständigen werden der Geländegänger X5 als Plug-in-Hybrid und der i5, ein wenig stärker und größer als der Bruder i3.
Eine Vorstandsfraktion, die alle künftigen Modelle elektrofähig machen will, kann sich wohl nicht durchsetzen. Nach den Milliardeninvestitionen in die i-Familie will BMW-Chef Norbert Reithofer (57) erst einmal Geld verdienen.
Sogar den bislang einzigen heimischen Batteriespezialisten lassen die Deutschen brachliegen. Die Kombination aus dem Chemiespezialisten Litarion und dem Zellenhersteller Li-Tec gilt in der Branche als Perle. Anfangs wegen Anlaufschwierigkeiten belächelt, produziert das Joint Venture mittlerweile auf höchstem Niveau: wenig Ausschuss, hohe Qualität und mit einer Neuentwicklung speziell für Plug-in-Hybride auch bereit für den Markt der Zukunft.
Doch die Eigentümer Daimler und der Chemiekonzern Evonik, zuletzt bisweilen uneins über die richtige Strategie, suchen seit einem Jahr vergebens einen Käufer für ihr Batterieunternehmen. Verblieben ist ein einziger ernsthafter Interessent: der Elektronikkonzern LG. Die Koreaner bieten einen symbolischen Euro und fordern im Gegenzug einen Doppelbonus: rund 200 Millionen Euro Mitgift und die Garantie, dass Daimler seine Batterien in den nächsten Jahren bei LG ordert. Die Verhandlungen laufen.
Die potenziellen deutschen Interessenten verlassen sich auf ihre Kooperationen mit koreanischen oder japanischen Partnern, auf die derzeitigen Überkapazitäten am Markt - und riskieren damit spätestens gegen Ende des Jahrzehnts eine gefährliche Abhängigkeit.
Denn schon 2020 würden weltweit vermutlich 10 Prozent aller produzierten Autos elektrifiziert, erwartet Bosch. Allein in Europa würden dann mindestens 100 Millionen Batteriezellen pro Jahr benötigt - ein Vielfaches der aktuellen und derzeit geplanten Kapazität.
Bosch hält sich deshalb bereit für den Boom. Die Stuttgarter kooperieren mit dem japanischen Konzern GS Yuasa. Man beobachte den Markt genau und werde rechtzeitig zum großen Elektroboom ein Werk in Europa bauen, heißt es in der Konzernzentrale entschlossen. 2018 könne das Werk stehen, „falls wir ein dem Wettbewerb überlegenes Produkt bieten können“.
Doch derzeit dominiert der Wolfsburger Weg der künstlichen Verknappung: Konzernchef Winterkorn vermarktet das Ein-Liter-Auto XL1 als Limited Edition. Auflage 200 Stück, Preis 111 000 Euro, die Seriennummer auf einer Plakette im Innenraum, die ersten Exemplare reserviert für Konzernprominenz. Kundin Nummer eins: Aufsichtsrätin Ursula Piëch (57).
Michael Freitag