Trends MAGISCHES VIERECK
Gott allein macht nicht glücklich
Weltweit ist Religiosität auf dem Rückzug. Das ist tatsächlich eine gute Nachricht.
Von Henrik Müller
Gott ist nicht tot, aber weit weg. Abseits von Weihnachtsseligkeit und Jahreswechselstimmung sind große Teile moderner Gesellschaften ganz aufs Diesseits fixiert. Für die meisten Menschen hat der Glaube an eine höhere Macht nur noch geringe Bedeutung: Ein Drittel der Bundesbürger und sogar die Hälfte der US-Amerikaner geben an, Religion sei für sie völlig unwichtig. Fromme Gläubige sind vielerorts in der Minderheit, wie Daten des World Values Survey (WVS) zeigen. Weltweit gesehen ist die Religion auf dem Rückzug, immer mehr Gesellschaften würden „Gott aufgeben“, wie der Politologe Ronald Inglehart formuliert.
Allerdings gibt es große Unterschiede und mancherorts gar Gegenbewegungen. Während sich das nochkommunistische China durch größtmögliche Gottesferne auszeichnet, sind viele Schwellen- und Entwicklungsländer den Daten zufolge nach wie vor tief religiös (siehe Grafik). Ähnliches gilt für muslimisch geprägte Gesellschaften wie die Türkei, ebenso für das hindudominierte Indien. Auch in christlichen Gesellschaften Lateinamerikas und Afrikas, wo die katholische Kirche mit bibeltreuen Protestanten um die Deutung Gottes und der Welt ringt, sind Ungläubige rar. Einzelne exkommunistische Länder, darunter Russland, haben nach 1990 eine Rechristianisierung durchgemacht – das Transzendenzvakuum nach dem Offenbarungseid der Ideologie wollte gefüllt werden.